Hurrikan Dorian

Es ist kurz nach 2 Uhr in der Nacht, als ein kräftiger Ruck durchs Boot geht. Vor 15 min bin ich gerade rein, um die Leinen und das Boot zu checken. Also wieder Aufstehen und das in dieser Nacht schon zum 10. Mal. Alle 30 Minuten rein in die Regenklamotten, die ohnehin durchgeweichten Schuhe anziehen und Mütze auf. Die Mütze schön festbinden, denn draussen weht es noch immer mit über 40kn von der Seite. Wir liegen mit dem Boot in Miðvagur auf Vágar,

der 3. größten Insel auf den Färöer. Warum zu dieser Jahreszeit? Die Sturmsaison hat begonnen. Von Island aus kommend, planten wir eine Stippvisite von 3-4 Wochen auf der Inselgruppe. Doch es kam anders. Die Färöer oder auch Schafs-Inseln genannt, sind wunderschön. Die Landschaft, die Leute, das Klima alles passt so gut, das wir bleiben müssen. Den ursprünglichen Plan, von hier aus über Schottland zurück zu segeln, haben wir durch einen zusätzlichen Defekt an der Maschine schon längst verworfen. Es gefällt uns hier, so dass wir im nächsten Jahr die zahlreichen Inseln und Buchten weiter erkunden wollen. Färöer sind wie Island und doch ganz anders.

Bei einer dauerhaften Schräglage zwischen 30°-35° fällt es mir schwer, den Niedergang zu erklimmen. Bei strömendem Regen sehe ich schon die Ursache für den kräftigen Ruck. Wieder ein zerrissener Festmacher. Trotz Ruckdämpfer zerreisst das Seil an der Klampe wie ein Bindfaden. Ersatz muss her. Ich krame wieder einen neuen Festmacher hervor. Alles ist nass und ich fluche auf das Wetter. Hier auf den Färöer tritt es fast ausnahmslos je nach Vorhersagen ein. Leider auch in dieser Nacht. Es ist der 14. September 2019. Der Tag nach Freitag dem 13. Abergläubisch? Nein! Der Sturm kam aus Westen und ist schon lange angekündigt.

Er baute sich an der Ostküste von Amerika auf und entwickelte sich über dem Atlantik vom Hurrikan „Dorian“ zum handfesten Orkan. Die Zugbahn verlief südlich von Island. Geplantes Ziel von „Dorian“: die Westküste von Irland. Doch es sollte anders kommen. Mit einem leichten Schwenk nach Nordost war das ausgesuchte Ziel die kleine Inselgruppe der Färöer im Nordatlantik und raste gefühlt ganz genau in den Hafen von Miðvagur auf mein Boot zu. Danke Dorian. Seit einer Woche weht es schon auf Vágar. Wir suchen einen Liegeplatz für den kommenden Winter. Doch keine Chance, weder in Sörvagur an der Westküste von Vagar und damit nur 2 km vom einzigen Flughafen entfernt, noch in Miðvagur gibt es einen Platz für mein Boot. Die Tage zuvor sind wir mit Bus und Mietwagen über die Inselgruppe gereist, um einen geeigneten Platz zu finden. Ziemlich aussichtslos. Angestellte von der Kommune Vágar, die uns bei der Suche behilflich waren, hatten nach 2 Tagen keine Lösung parat. Derzeit wartet man 8 Jahre auf einen Liegeplatz auf den Färöer.

Das hatten wir uns einfacher vorgestellt. Am Morgen wehte es schon kräftig aus Südost, als die besorgten Fischer uns von Wellen um 14 Meter berichteten. Zum Glück sollte der Wind ja noch auf Südwest drehen und damit nicht direkt in den Hafen. Zum Frühstück wurde es schon unruhig an dem einzigen möglichen Liegeplatz, vor einer Plattform für Lachsverarbeitung.(1.)

Wir verhohlten das Boot zur Nordseite im Hafen Miðvagur, um etwas Ruhe zu bekommen(2.), denn Südwind heißt in diesem Hafen: „Abgelenkt am Felsen und verstärkt aus Nordwest“ Nichts bleibt auf dem Tisch bei dieser Windrichtung. Als gegen 10 Uhr dann der vorhergesagte Winddreher kommt, wechseln wir mit dem Boot wieder zur Verarbeitungsplattform (3.), dieses Mal hinter die Station und somit in Lee zum Wind, allerdings mit 90° Windeinfall.

Ein weiterer Fischer kam und berichtete vom letzten Sturm, bei dem aus dem riesigen Wellenbrecher vor der Hafeneinfahrt die Felsbrocken raus geflogen sind. Na toll. Haben wir überhaupt eine Chance hier? Wir haben das Gefühl, die ganze Stadt sorgt sich inzwischen um uns. Ein Verantwortlicher für die Lachsaufzucht bringt uns noch 3 weitere Festmacher inclusive Ruckdämpfer. „Die halten 20 Tonnen, das könnte reichen“  Auch mir wird mulmig, „… könnte reichen“, den Naturgewalten ausgesetzt zu sein und keinen Plan B zu haben ist keine rosige Aussicht. Ab Nachmittag beschliessen wir, am Boot zu bleiben, um sofort reagieren zu können. 

20 Uhr zum Abendessen gibt es frische Pellkartoffel, die sind schnell gemacht und nicht all zu viele Sachen stehen auf dem Tisch. Bei wechselnder Schräglage, jetzt schon 25°, greift sich jeder was er kriegen kann, bevor etwas vom Tisch rutschen kann. Gibt es eigentlich Boote mit kardanischer Tischaufhängung? 

22 Uhr, stündlich lade ich Wetterdaten herunter. Wann ist Besserung in Sicht? In 6 Stunden, also ab 4 Uhr nur noch 40-50kn und ab 7 Uhr dann unter 40kn. Als um 0:30 der Strom und damit auch der WLAN Hotspot wegfällt, wird es unheimlich.

Ich kämpfe mich rüber zur Plattform, dann an Land. Der Flughafen Vagar meldet 72kn Wind, was ist das für eine Windstärke? Windstärke 13 ist mir noch nicht vorgekommen. Das Gehen an Land und sogar das Atmen fällt mir bei diesem Wind schwer. An der Plattform sind zwei armdicke Festmacher gerissen. Dadurch ist unsere schützenden Insel leicht versetzt und hat das 5cm starke Landstromkabel aus der Verteilung gerissen.

Deshalb auch bei uns kein Strom mehr an Bord, was kann jetzt noch kommen? Meine Devise: Durchhalten, denn es gibt keinen Plan B. Zurück an Bord ziehe ich das Boot über die Winschen ganz dicht an die Plattform. Durch die zerfezten Festmacher der Plattform ist Bewegung in die ganze Konstruktion gekommen. Wir mit unserem Boot baumeln wie ein Satellit am Bungeeseil, vor und zurück. An Schlaf ist nicht zu denken. 9 Festmacher und 9 dicke Fender sollen uns nun schützen. Es knarzt, es pfeift und ruckt kräftig. Ein Höllenlärm.

Die 9 Festmacher sind an 5 Klampen fest. Unangenehm, was ist, wenn eine Klampe ausreisst? Nicht auszumalen. Immer wieder ziehe ich bei meinen Kontrollgängen die Festmacher über die Winschen fest, damit es nicht so sehr ruckt. Die Zeiger der Uhr sind schon auf 4:30 geschlichen. Gefühlt sind die Minuten wie Stunden. Keine spürbare Besserung in Sicht. Dann endlich, gegen 7 Uhr, die Schräglage vom Boot wird gleichmäßiger und pegelt sich bei 15-20° ein und es ruckt nicht mehr so intensiv. Ich sage zu Antje: „Ich glaube wir haben es geschafft.“ Bis 10 Uhr weht es noch mit 30 kn, was ist das schon. Müde nach der schlaflosen Nacht, gucken wir uns an und schmunzeln. „Wollen wir an Deck frühstücken? Die Sonne kommt gleich raus.“ 

Tagsüber kommen die gestern um uns besorgten Fischer, fragen, wie es uns geht und es gibt Glückwünsche zum überstandenen Sturm von schaulustigen Bewohnern und dem Verantwortlichen der Lachsstation. Die Anspannung lässt nach. Wir verholen das Boot wieder auf die andere Seite der Plattform, jetzt mit der Nase im Wind von nur noch 20 kn. Ich repariere den Landanschluss der Plattform und meine Festmacher. Denn: „Nach dem Sturm ist vor dem Sturm.“

Mit viel Mühe und Hilfe von Außen und Angst ums Material haben wir diesen Sturm gut überstanden. Auch im Nachhinein würde ich nicht anders handeln. Ahoi von den Färöer, Antje und Micha.

Schaut Euch die Bilder an.

3 thoughts on “Hurrikan Dorian

  1. Mein lieber Schwan! Nicht beneidenswert. Habe ich Gott sei Dank noch nicht erlebt. Wir lagen mal vor vielen Jahren bei einem vor der US-Ostküste vorbei ziehenden Hurricane auf Martha’s Winyard, aber sicher keine 70 kn Wind. Irgendwann hatten wir die Nase voll und sind ins Kino gegangen und von dort habe ich ein Bed&Breakfast angerufen und dort haben wir eine sehr viel angenehmere Nacht verbracht. Am Morgen war der ganze Spuk dann vorbei. (War aber auch nicht unser Boot und der Hafenmeister hatte uns geholfen extra Festmacher zu verlegen).

  2. Ex Dorian haben wir in Burgtiefe auf Fehmarn abgewettert mit über 30 Knoten Wind. Wir hatten auch 6 Festmacher drausen. Sowas will mann nicht auf See erleben.Bleibst du über den Winter in Tvöroyri?

    1. Hi, ja das kommt schon mal vor. Bei 30kn kann man aber noch gut segeln. Danach wird es komisch. Von Tvøroyri bin ich wieder nordwärts nach Vagar, in der Nähe vom Flughafen. Ich bleibe den Winter wieder auf dem Boot. Beste Grüße Micha.

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